Warum Wir Lernen Müssen Mit Wölfen Gemeinsam Zu Leben 13.12
iberischer wolf
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Warum wir wieder lernen müssen mit Wölfen gemeinsam zu leben

Der Verein Save the Alps nahm mein Facebook Video über die Debatte zu Wölfen, zum Anlass mir einen Brief zu schreiben. Aus Transparenzgründen veröffentliche ich hier Ihr Schreiben und meine Antwort.

Die beiden Briefe

Zur Anfrage an Waitz von Save the Alps vom 25.11.2022

Meine Antwort

Brüssel, 08.12.2022
Sehr geehrter Herr DI Sommeregger,
Sehr geehrte Damen und Herren von Save The Alps Austria,
Vielen Dank für Ihr ausführliches Schreiben und Ihre Fragen, die mir die Möglichkeit geben, meinen Standpunkt noch einmal klarer darzulegen.

Zunächst ist es mir aber ein persönliches Anliegen, Folgendes festzuhalten:
Ich habe mein ganzes erwachsenes Leben als Landwirt in gebirgiger Lage Erschwernisgruppe 3 gearbeitet und, bis zu meinem Einzug ins Europäische Parlament 2017, auch fast ausschließlich von meiner Landund Forstwirtschaft gelebt und meine Familie ernährt. Nach meiner Zeit im Europäischen Parlament werde ich zu unserer Landwirtschaft zurück kehren. Ich werde nicht aufhören, mich als Landwirt zu bezeichnen und sehe darin auch keineswegs eine Beleidigung für die vielen aktiven Landwirt*innen in unserem Land.

Ich möchte außerdem darauf hinweisen, dass meine Arbeit im Europaparlament über Österreich hinausgeht. Es geht hier um die Betrachtung von politischen Themen und Problemstellungen für 27 Mitgliedstaaten. Es gibt nicht die eine “ideale Lösung für alle“, aber wir bemühen uns, über unsere nationalen Grenzen hinaus gemeinsam an Lösungen zu arbeiten. In flacheren Regionen, wie Brandenburg oder Sachsen, die auch Wolfspopulationen haben, ist es sicher einfacher und kosteneffektiver einen elektrischen oder festen Zaun aufzustellen. In Almregionen sind andere Lösungen zu finden. Ich stehe zu meinem Abstimmungsverhalten. Die Resolution hat gute inhaltliche Punkte, aber eine Öffnung der Habitats-Richtlinie ist politisch aus mehreren Gründen nicht vertretbar. Neben dem Wolf geht es dort um den Schutz vieler anderer Tiere. Auch Naturschutzgebiete werden in dieser Richtlinie definiert. All das wäre durch ein Neuverhandeln der Habitat-Richtlinie bedroht. In Zeiten der Biodiversitäts- und Klimakrise sind alle Maßnahmen zum Erhalt und Schutz des Planeten, egal ob Kulturlandschaft oder nicht, unerlässlich wichtig. Hier nicht über den Tellerrand zu schauen, wäre ein Fehler. Das ist meine politische Linie, zu der ich stehe. Ihre erste Frage bezieht sich auf den positiven Einfluss, den der Wolf auf die Biodiversität hat. Sie bitten um Studien, die ich Ihnen gerne zusende:

Der positive Einfluss, den der Wolf auf die Biodiversität hat

Wölfe wirken sich positiv auf wilde und naturnahe Ökosysteme und die biologische Vielfalt aus, indem sie die Populationen wilder Beutetiere und Huftiere regulieren und indem sie die Übertragung von Krankheiten, einschließlich Zoonosen wie Tuberkulose, verringern oder Pandemien wie die Afrikanische Schweinepest eindämmen.
Iberische Wölfe fressen sogar Mesoprädatoren wie Steinmarder, wodurch eine hohe Artenvielfalt und ein ökologisches Gleichgewicht gewährleistet werden. Durch die Regulierung von Wildtieren tragen Wölfe außerdem dazu bei, die von ihnen verursachten Schäden an Kulturpflanzen zu verringern und befördern damit die Naturverjüngung in Wäldern oder das natürliche Nachwachsen der Ufervegetation, was dem Hochwasserschutz zugute kommt. Dieser Punkt ist mir als Forstwirt natürlich besonders wichtig. All das gilt natürlich auch für Alm-Regionen, auf die sich Ihre Frage ja besonders

bezieht.
Ich stimme Ihnen vollkommen zu, dass Almen wichtige Biodiversitätshotspots sind. Die Viehhaltung ist dabei ein entscheidender Faktor. Almen und die Almwirtschaft sind wichtige Kulturgüter und tragen wesentlich zur Erhaltung der Kulturlandschaft und der Biodiversität bei. Almbauern und -bäuerinnen arbeiten unter besonders erschwerten Bedingungen und werden dabei politisch nur unzureichend unterstützt.
In meiner politischen Arbeit weise ich schon seit Jahren auf diesen Missstand hin – etwa auch in den Verhandlungen zu GAP, die besonders die Almwirtschaft auf unfaire Weise benachteiligt. Hier sind aber andere Faktoren am Spiel, als der Wolf. Wenn in Europa tagtäglich 1.000 Höfe zu sperren und die Schafsproduktion in ganz Europa in den letzten 17 Jahren um ganze 20% zurückgegangen ist, dann liegt das ganz bestimmt nicht nur an den ca. 17,000 Wölfen, die momentan in ganz Europa leben. Vielmehr sind es die Preise drückende globale Agrar-Produktion, die Dürre- und Überschwemmungen hervorrufende Klimakrise und die unfairen Agrar-Subventionen, die Klein- und Alm-Bäuer*innen das Leben schwer machen und ihre Existenz bedrohen. Die Agrarpolitik der EU, die leider auch von ÖVP und Landwirtschaftskammer unterstützt wird, gefährdet nicht nur unsere Umwelt und die Lebensgrundlage vieler klein- und mittelständischer Betriebe, sondern auch unsere Ernährungssouveränität. Österreich hat das Potential, klima- und biodiversitätsfreundlich zu wirtschaften. Wir haben noch eine kleinteilige und stark regional verankerte Landwirtschaft. Diese vor den Herausforderungen der Klimakrise zu schützen, aber auch in der aktuellen Situation steigender Energie- und Düngerpreisen zu unterstützen sollte unsere Priorität sein. Der Erhalt der kleinstrukturierten Land- und Almwirtschaft ist unser gemeinsames Anliegen, ich bitte nur, in der Problemanalyse über den Wolf hinaus zu gehen. Natürlich stellen Wölfe gerade im alpinen Bereich für Landwirt*innen eine Herausforderung dar, weswegen wir uns besonders auf die Finanzierung und Umsetzung von Herdenschutzmaßnahmen fokussieren müssen. Ich gebe Ihnen auch Recht, dass Zäune – auch Elektrozäune – in alpinen Gebieten weder besonders hilfreich noch praktisch umsetzbar sind. In alpinen Gebieten sind stattdessen aktive Behirtung und Nachtpferch die sinnvollsten Lösungen. Aktive Behirtung hilft übrigens nicht nur gegen den Wolf.
Wie Sie korrekt bemerkt haben, ist die aktive Nutzung der Almen wichtig für die Erhaltung des Lebensraumes und der Biodiversität. Aber aktive Nutzung bedeutet nicht, Herden monatelang unbeaufsichtigt grasen zu lassen. Diese Art der Nutzung hat sogar negative Folgen für die Biodiversität. Werden Schafe nicht behirtet, steigen sie immer weiter in Regionen, in denen sie eigentlich nichts zu suchen haben und kommen dort in Kontakt mit Wildtieren wie Gams und Steinbock. Dabei können Schafe Krankheiten übertragen, die üblicherweise nur bei domestizierten Tieren auftreten, wie etwa die Huffäulnis/Moderhinke. Durch den freien Weidegang, werden die Almflächen auch nicht gleichmäßig abgeweidet. Weil die Tiere Vorlieben für bestimmte Lagen haben, werden diese mitunter oft übernutzt. Andere Bereiche hingegen werden nicht abgefressen. Mit Lenkung durch aktive Behirtung ist eine gleichmäßige und ausgeglichene Beweidung möglich. Sie weisen auch richtig auf das Tierwohl hin.
Tatsächlich ist die Almwirtschaft eine der tierfreundlichsten Arten der Landwirtschaft. Aber auch hier wieder mit der Einschränkung, dass das nur dann stimmt, wenn die Tiere nicht über lange Zeit unbeaufsichtigt bleiben. Aktive Behirtung kann verhindern, dass Tiere an behandelbaren Infektionen elendig verrecken müssen oder durch Unwetter oder Abstürze umkommen. Natürlich ist aktive Behirtung teuer und darf nicht auf Kosten der Landwirt*innen gehen. Damit komme ich gleich zu Ihrer zweiten Frage, in der es um konkrete Programme und finanzielle Umsetzung geht. Die Unterstützung von Maßnahmen zur Verhütung von Schäden an Nutztieren wurde nun vollständig in die GAP-Sonderregelung aufgenommen. Um das GAP-Ziel in Artikel 6.f der Sonderregelung zu erreichen, sind Kosten zur Erstattung von Verlusten und für Herdenschutz- und Koexistenzmaßnahmen unter folgenden Artikeln gedeckt:

  • § 72 (1,3,5) der GAP SPR deckt gebietsspezifische Nachteile ab, die sich aus den verbindlichen Anforderungen der Habitat-Richtlinie ergeben;
  • § 71 SPR ermöglicht eine jährliche Zusatzzahlung für Landwirte in Gebieten mit natürlichen
    Einschränkungen;
  • Investitionen in die Anpassung von Praktiken und Infrastrukturen an die Koexistenz mit Großraubtieren gemäß § 73(3)d.ii der GAP-RL, können gemäß § 73(4)c.i der GAP-RL zu 100 % von der EU finanziert werden; dies kann die Kosten für den Schutz des Viehbestands, einschließlich der Arbeitskosten, decken. Einschließlich Verluste und Schäden durch Raubtiere im Rahmen von Versicherungssystemen gemäß § 76(3)a SPR. Die EU kann die Versicherung von Verlusten in Höhe von bis zu 70 % finanzieren.
  • Zusätzlich können 3 % der Direktzahlungen für Versicherungskosten gewährt werden (Art. 19 SPR).

Schon jetzt können durch die GAP Ko-Existenzmaßnahmen zu 100% von der EU finanziert werden. Dass das Geld nicht immer bei den betroffenen Landwirt*innen ankommt, liegt daran, dass die Mitgliedsstaaten diese Gelder in ihren Nationalen Strategieplänen nicht ausschöpfen – hier wäre auch einmal ein Brief an das Landwirtschaftsministerium und Landwirtschaftsminister Totschnig angebracht! Ich bin der Meinung, dass der Wolf eine gesamtgesellschaftliche Herausforderung ist und daher auch Gelder aus Naturschutzprogrammen herangezogen werden könnten, vorausgesetzt, dass die GAP Gelder sinnvoll und gut eingesetzt wurden. Natürlich unterstütze ich die Forderung die Bäuer:innen schadlos zu halten.
Auf Ihre Frage nach konkreten EU geförderten Projekten sende ich Ihnen Konkrete verweise ich an das von der EU geförderte LIFE+ Project. Hier können Sie sich zu dem Projekt „wolfalps“ informieren, in dem Herdenschutzmaßnahmen gefördert werden. Aktive Behirtung ist dabei ein großer Fokus. Eine ausführliche Liste konkreter Projekte finden Sie außerdem hier auf der Website der Europäischen Kommission.
In Ihrer dritten Frage geht es um das Finden gemeinsamer Lösungen. Gemeinsam mit meiner Kollegin von der ÖVP, Simone Schmiedtbauer habe ich schon vor Jahren versucht, einen runden Tisch zum Thema Wolf zu organisieren. Das scheiterte leider am fehlenden Interesse der damaligen Landwirtschaftsministerin Elisabeth Köstinger. Meine Bereitschaft – ja sogar offene Freude an einem solchen Projekt mitzuarbeiten habe ich auch schon Landwirtschaftsminister Totschnig Anfang September mitgeteilt. Leider wieder ohne Erfolg.
Bezüglich Ihres Schreiben vom 8.11.2022 an das BM für Klimaschutz haben wir an der zuständigen Stelle nachgefragt. Ein dementsprechendes Schreiben ist dem BMK nicht bekannt. Ich würde bitten, die Anfrage noch einmal zu senden.
Es braucht gemeinsame Lösungen aber vor allem müssen wir endlich von dem Totalabschuss-Wunsch wegkommen. Die Europäische Kommission hat momentan kein Interesse daran, den Schutzstatus des Wolfes herabzusenken. Außerdem kann sie das nicht so einfach alleine entscheiden, es bedarf auch einer einstimmigen Zustimmung der Mitgliedsstaaten im Rat. Aber selbst, wenn das passieren sollte heißt das nicht, dass der Wolf verschwindet. Der Wolf ist da, um zu bleiben und Zusammenleben geht nur durch Anpassungsmaßnahmen. Wolf-freie Alpen werden keine Realität werden. So lange es Wölfe gibt, kann sich immer wieder einer in die Alpen verirren und Tiere reißen. Aktive Behirtung und Nachtpferch in den Alpen und feste und Elektrozäune in den Tälern sind konkrete und sinnvolle Lösungen, die auch noch zu 100% finanziert werden können. Das muss Politik leisten.
Ich hoffe, dass ich mit meinem Schreiben meine Standpunkte noch klarer darstellen konnte. Wie ich schon auch Ihrer Kollegin Regina Stich auf Facebook geschrieben habe, stehe ich gerne für ein weiteres Gespräch zu Verfügung. Sollte es von Ihrer Seite immer noch Gesprächsbedarf geben, freue ich mich auch über ein Treffen. Ich komme gerne zu Ihnen und dann red ma drüber.
Aus Transparenzgründen werde ich Ihr Schreiben und meine Antwort auch auf meiner Website veröffentlichen.
Mit freundlichen Grüßen,
Thomas Waitz

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Save the Alps_Antwort 20221208Herunterladen

» Es werden Märchen über Wölfe verbreitet, die Unsinn sind «

- Thomas Waitz in derstandard.at am 2022-11-24

Das Thema Wolf bewegt uns bereits, deswegen hier noch die Verweise auf

Iberische Wölfe

» Es geht der ÖVP und den konservativen Parteien nicht um eine gemeinsame Suche nach Lösungen für die Bergbauern und die Almwirtschaft, sondern um Panikmache und eine Schwächung von Naturschutz «

- Thomas Waitz in kleinezeitung.at am 2022-11-26