SOS Amazonas: EU-Mercosur-Handelsabkommen Gegen Entwaldung?  - Thomas Waitz
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SOS Amazonas: EU-Mercosur-Handelsabkommen gegen Entwaldung? 

Bereits seit über 30 Jahren verhandelt die EU über ein Handelsabkommen mit den Mercosur-Staaten Argentinien, Brasilien, Paraguay und Uruguay.  Die spanische Ratspräsidentschaft hat es sich nun zum Ziel gesetzt, das Abkommen bis zum Ende des Jahres fertig zu verhandeln. Menschenrechts- und Umwelt-NGOs in Brasilien, aber auch Bäuer*innenorganisationen auf beiden Seiten des Atlantiks, schlagen Alarm, denn das Abkommen würde die Nachfrage nach Soja und Rindfleisch fördern und damit die Entwaldung in Brasilien weiter antreiben. Dort werden Wälder gebrandrodet und gefällt, einerseits für das wertvolle Tropenholz, aber auch für Bergbau, die Weidehaltung und Anbauflächen für Soja, Mais und Baumwolle.

Ende August reiste ich mit meinem Team nach Brasilien, um uns vor Ort in Sao Paulo, Brasilia und  Mato Grosso ein Bild zu machen und grundlegende Fragen zu beantworten: Kann der Vertrag, so wie er jetzt gerade verhandelt wird, gerecht für beide Seiten sein? Sind Lieferketten bei Produkten wie Holz, Gold und Rindfleisch, die aus den Mercosur- Staaten importiert werden, nachvollziehbar?

Während wir in Sao Paulo vor allem Vertreter*innen der Zivilgesellschaft und NGOs aus den Bereichen Umweltschutz, Landwirtschaft, Arbeiter*innenrechte, Handel und Tierschutz getroffen haben, haben wir uns in Brasilia mit Abgeordneten aus dem Kongress, Mitarbeiter*innen aus dem neuen indigenen Ministerium und dem Umweltministerium und dem EU Botschafter Ybanez ausgetauscht.

Waldbrände und Rindfleisch

Den Hauptteil der Reise verbrachten wir aber im Bundesstaat Mato Grosso. Dieser  ist knapp elf mal so groß wie Österreich und beherbergt drei wertvolle Ökosysteme: den Amazonas (Regenwald), den Cerrado (Trockensteppe) und den Pantanal (Feuchtgebiet). Viel ist von diesen wunderschönen Landschaften nicht mehr intakt. Neben dem Besuch riesiger Rinderfarmen und eines Schlachthauses, haben wir uns vor allem die Probleme rund um die Entwaldung angeschaut. So sahen wir Äcker, oder eher, Agrarwüsten mit Monokulturen, die bis zum Horizont reichten. Halb legale Goldminen vergiften das Wasser für Mensch und Tier, Pestizide, die zum Teil in Europa längst verboten sind, werden großflächig und mit deutlich höheren Grenzwerten versprüht und immer wieder rauchen Waldbrände in der Ferne. Dabei verfügt Brasilien zum Teil über gute Gesetze im Umweltbereich, die manchmal sogar weiter gehen als jene in Europa. Es mangelt aber deutlich an der Umsetzung. Strafen sind viel zu gering und oft werden sie gar nicht erst verhängt, denn Korruption und Betrug sind weit verbreitet.

Systemische Diskriminierung und tägliche Gewalt

Besonders bedrückend waren für mich die Zustände in der Landwirtschaft: Zwangsarbeit oder sklavenähnliche Arbeitsverhältnisse sind in der Landwirtschaft, im Wald und Bergbau Gang und Gäbe. Unvorstellbar für uns: Großgrundbesitzer und Investor*innen, die meist nicht vor Ort leben und arbeiten, lassen 50% der Agrarflächen bewirtschaften. Wenige grüne Inseln liegen in Schutzgebieten wie Nationalparks, auf Flächen von Kleinbäuer*innen und in indigene Territorien. Indigene Gruppen, wie die Xavantes, die wir besucht haben, sowie die Quilombolos, Kleinbäuer*innen, deren Vorfahren ehemalige geflohene Sklav*innen sind, müssen ständig um ihre Landrechte kämpfen. Bedrückend war bei diesen Treffen die Erfahrung der Marginalisierten und Aktivist*innen mit Gewalt: Physische und Psychische Gewalterfahrung steht an der Tagesordnung. Systemische Diskriminierung und Rassismus prägen Generationen. Marginalisierte Gruppen, wie zum Beispiel die Indigene Bevölkerung Brasiliens, werden in politischen Prozessen ausgeschlossen. Die Entscheidungsfindung beeinflussen hauptsächlich diejenigen, die auch vom Handelsabkommen profitieren: die Agrarlobby (auch jene aus den USA und der EU), die Industrie und Großgrundbesitzer*innen.

Und jetzt?

Die Gespräche vor Ort haben für mich gezeigt, dass es nicht nachvollziehbar ist, ob Lieferketten frei von Entwaldung und Menschenrechtsverletzungen sind. Wir haben im Schlachthaus gesehen, dass es jetzt schon Produktionslinien mit strengeren Qualitätskriterien für die EU und USA gibt, der Rest geht in Länder mit niedrigeren Standards oder ist für den brasilianischen Markt bestimmt. Allerdings deckt Europa schon heute seinen Bedarf an Rindfleisch zu 110%. Wozu also mehr Importe? Unsere Nachfrage nach Holz, Fleisch und Agrarprodukte verursacht in Brasilien Leid und Umweltzerstörung. Egal ob mit oder ohne Abkommen.

Für mich stellt sich die Frage, wozu wir das Abkommen in der derzeitigen Form brauchen, ein Abkommen, das weder Menschen noch Umwelt schützt. Meine Reise hat mich in meiner bisherigen Haltung bestärkt: Ich bleibe weiterhin bei meinem klaren NEIN zum EU-Mercosur-Abkommen. So, wie es jetzt geplant ist, verstärkt das Abkommen neokoloniale Abhängigkeiten und Machtverhältnisse, zerstört kostbare Naturräume und gefährdet das Leben der Menschen auf beiden Seiten des Atlantik. Der geplante Sideletter ohne Sanktionen ist nichts anderes als eine grüne Nebelgranate. Den Amazonas Regenwald und die Brasilianer*innen wird es nicht schützen. Dieses Abkommen darf nicht unterzeichnet werden.