Ende Oktober hatte ich die große Ehre, fünf Tage im Dorf Metuktire im brasilianischen Bundesstaat Mato Grosso zu verbringen, mitten in der indigenen Gemeinschaft der Kayapó. Dieses Dorf ist das Zuhause von Chief Raoni, einer Ikone des indigenen Widerstands und so viel vorab: auch ihn durfte ich treffen.
Ich sah mit eigenen Augen, wie Menschen ihr Zuhause, ihren Wald und ihr Leben mit Würde und Widerstand verteidigen.
Landwirtschaft, Alltag und systematische Diskriminierung
Die Kayapó öffneten ihre Türen und ihr Leben für mich. Untergebracht wurde mein Team in den Klassenzimmern der Dorfschule, ich durfte im Gesundheitszentrum des Dorfes übernachten. Man kann das Metuktire Dorf als eine Art Botschafter Dorf sehen, es hat dank der jahrzehntelangen internationalen Arbeit von Chief Raoni finanzielle Unterstützung für ihr Gesundheitszentrum, Schule sowie Solarpanele und Internetzugang erreicht.
Dieser Einblick in ihren Alltag war für mich ein ganz besonderes Privileg ich durfte nicht nur ihre Arbeit auf den Feldern aber auch ihre Diskussionsrunden miterleben. Mein westliches Denken wurde auf vielen Ebenen herausgefordert aber eine Gefühl bliebt ganz stark: Respekt. Ich habe tiefsten Respekt vor der Art, wie sie Landwirtschaft betreiben, keine Spur von industrialisierter Ausbeutung, sondern in tiefer Verbindung mit dem Land, mit Respekt für die Natur. Respekt vor der Art wie sie mit Geschichte und Gegenwart umgehen.
Wir sprachen lange und intensiv über ihre Lebensrealitäten: Über ihr Recht auf ihren eigenes Land, Saat, Ernte über jene Landwirtschaft, die nicht ausbeutet, sondern erhält. Über Gemeinschaft, Lebensweise, Verantwortung und tägliche Gewalt- und Diskriminierungserfahrungen. Ein Lehrer der Gemeinschaft hat beschrieben, wie weiße Menschen in der nächst größeren Stadt vor allem indigenen Frauen kein Wechselgeld an der Supermarktkasse geben. Automatisch wird angenommen, dass, Indigene und insbesondere Frauen über keine finanzielle Bildung verfügen. Selbst am Bankschalter sagt ein Bankangestellter bei dem erwischten Versuch: „Oh, naja ich wusste nicht, dass Sie Lehrer sind und rechnen können.“
Warum auch wir in Europa indigene Rechte schützen müssen
Ich hatte nicht nur die Gelegenheit, mit Chief Raoni persönlich zu sprechen, es kamen neben Raonis Enkelsohn Chief Taú auch andere Chiefs aus benachbarten Dörfern extra für einen Nachmittag voller Diskussionen.
Wir sprachen darüber, was es wirklich bedeutet, indigene Rechte zu respektieren. Nicht in einer neokolonialen Denkweise als Solidaritätsgeste, sondern als Verpflichtung. Wir sprachen darüber, dass ihre Rechte Mittel zum Eigenschutz sind und gleichzeitig Schutz für uns alle. Denn die Kayapó sind echten Wächter des Waldes. Ohne den Schutz ihrer Gebiete, ohne ihren täglichen Widerstand gegen Ausbeutung und Agrar-Riesen wäre die Klimakrise heute noch viel schlimmer.
Ihre Botschaft war klar: Respekt vor indigenem Leben und Kultur. Respekt vor Territorien. Respekt vor dem Wald. Ich empfinde diese Aufforderungen als das absolute Minimum, aber es liegt an uns, diese Forderungen garantieren zu können.
Es ist unsere Aufgabe, ihre Stimmen weit hinauszutragen in unsere Parlamente, in die Öffentlichkeit. Denn indigene Gemeinschaften schützen nicht nur ihren Wald, sondern den gesamten Planeten vor einem Klimakollaps mit lebensbedrohlichen Auswirkungen.
Druck von allen Seiten – Kahlschlag wächst weiterhin Ich sah mit eigenen Augen, was der Druck auf den Amazonas bedeutet: In einem etwa einstündigen Flug über Mato Grosso flogen wir über massive Zerstörung. Kahlschläge tausende Hektar rund um das indigene Gebiet, die alle zu Feldern umgewandelt wurden. Dort, wo einst Regenwald stand, breiten sich jetzt toxische Monokulturen aus. Auf der Sojastraße, wo ich vor zwei Jahren bereits vor Ort war, hat man die Felder bis zum Horizont gesehen: Kein Grün, kein Unkraut, die Luft voller Pestizide, die in den Augen und Nase brennen.
Der EU- Mercosur-Handelsdeal droht, die Lage nur noch weiter zu verschärfen. Der Druck auf Land und Boden sowie auf Menschen und Natur wird durch Freihandel nur noch extremer. Kleinbäuer*innen auf beiden Seiten des Atlantiks können am Weltmarkt nicht mitmischen während sich die Agrarchemie- und Autokonzerne schon die Hände reiben. Trotz der jahrzehntelangen Kritik sind in dem Vertragstext weiterhin keine Sozialrechte und Umweltschutz verankert.
Meine Hoffnung und unser Auftrag
Die Kayapó und die vielen indigenen Völker im Amazonas verlangen eines und das ist für mich nichts weniger als ein politischer Auftrag: Respekt.
Respekt vor indigenem Leben. Respekt vor ihrem Land. Respekt vor dem Wald.
Es ist unsere Aufgabe — gerade wir hier in Europa —, ihre Stimmen weiterzutragen. Nicht nur als Hilfsaufruf, sondern als Aufruf zur Verantwortung. Denn sie kämpfen nicht nur für sich — sie schützen unseren ganzen Planeten.
Dank
Mein besonderer Dank gilt Planète Amazone. Durch sie wurde der Kontakt möglich und ohne sie wäre diese Reise, diese Begegnung, nie zustande gekommen. Auch möchte ich meiner vertrauten Dolmetscherin Cristiana Ferraz Coimbra und dem Instituto Dialetica danken. Sie leisten wahnsinnig tolle Arbeit, die nicht nur sprachlich Brücken baut sondern auch menschlich.
© Für alle Bilder: Ricarda Pfingstl, Team Waitz





