Rechtswalzer: Europäische Konservative Im Tanz Mit Demokratiefeinden - Thomas Waitz
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Rechtswalzer: Europäische Konservative im Tanz mit Demokratiefeinden

Sei es bei den Abstimmungen zu Gesetzen des Green Deals, wie dem Naturwiederherstellungsgesetz, der Entwaldungsverordnung oder dem Lieferkettengesetz, oder bei der Wahl des Kabinetts von Ursula von der Leyen; eine Entwicklung wird immer sichtbarer: Europas Konservative rücken gefährlich weit nach rechts.

Demokratische Bündnisse – eine europäische Tradition

Seit den 1990er Jahren gibt es in politischen Institutionen die Übereinkunft, nicht mit rechtsextremen Parteien zusammenzuarbeiten. Was im deutschsprachigen Raum die „Brandmauer gegen Rechts“ ist, ist im Französischen der „cordon sanitaire“. Der Begriff bezeichnet das Prinzip, Politik nur mit demokratischen und ohne rechtsextreme Parteien zu machen, um das politische System vor deren demokratiefeindlichen Ideologien zu schützen. 1989 einigten sich beispielsweise alle demokratischen belgischen Parlamentsparteien, den nationalistischen und rassistischen „Vlaams Blok“ bei der Regierungsbildung und der Suche von Mehrheiten nicht miteinzubeziehen, um das Fortbestehen einer wehrhafte Demokratie zu garantieren. Immer mehr Länder schlossen sich dem Beispiel an und so kam der „cordon sanitaire“ als wichtige Tradition auch in das Europäische Parlament.

Die demokratischen Parteien Europas haben durch den „cordon sanitaire“ in den letzten Jahrzehnten verhindert, dass Antidemokrat*innen wichtige Ämter innerhalb der Institutionen inne haben oder ihre demokratiefeindlichen Ideologien in Gesetze einfließen lassen konnten.

Die Brandmauer bröckelt

Schon in der vergangenen Legislaturperiode hat die konservative Europäische Volkspartei aber immer öfter  mit den rechtsextremen Fraktionen gemeinsame Sache gemacht, etwa wenn es um die Aushöhlung von Umwelt- und Klimaschutz ging und hat ihnen so geholfen, ihre gefährlichen Ideologien salonfähig zu machen. Seit der Wahl zum Europäischen Parlament 2024 hat diese Zusammenarbeit aber neue Dimensionen erreicht. Das liegt vor allem an der Angst der EVP vor dem Verlust ihrer Macht. Sie ist seit der letzten Wahl nämlich abgeschwächt – im Gegensatz zur Rechten. Im neuen Europäischen Parlament sind seit dem Sommer gleich drei rechte bis rechtsextreme Parteiengruppen vertreten:

  1. Die Fraktion der Europäischen Konservativen und Reformer (EKR), der z. B. die Partei der „Schwedendemokraten“ oder die italienische „Fratelli d‘Italia“ von Regierungschefin Giorgia Meloni angehören;
  2. Die Fraktion „Europa der Souveränen Nationen“ (ESN), die von Abgeordneten der rechtsextremen AfD gegründet wurde; und
  3. Die Fraktion „Patrioten für Europa“ (PfE), der neben der FPÖ noch die Lega von Italiens stellvertretendem Ministerpräsident Matteo Salvini sowie die niederländische Freiheitspartei (PVV) von Geert Wilders, die Dänische Volkspartei, die portugiesische Chega, der belgische Vlaams Belang und die spanische VOX angehören.

    Mit allen drei rechten Parteien hat die Europäische Volkspartei seit Beginn der Legislaturperiode zusammengearbeitet. So haben sie beispielsweise mit den Stimmen aller drei Fraktionen die Aufweichung des Gesetzes zur entwaldungsfreien Lieferkette beschlossen und die Transparenz für Konsument*innen damit wesentlich verschlechtert. Aber nicht nur bei inhaltlichen Positionen gibt es eine eindeutige Annäherungen.

    Ämter für Faschisten

    Das Erstarken der rechten und rechtsextremen Kräfte überall in Europa hat auch dazu geführt, dass die aus den Mitgliedsstaaten entsandten Kommissar*innen zum Teil aus diesen Parteien stammen. So etwa Raffaele Fitto, ein Postfaschist aus Giorgia Melonis Partei, die in Italien beispielsweise die Rechte der LGBTQI-Community einschränkt und soziale Sicherungssysteme für arbeitssuchende Menschen und Rentner*innen abschafft. Fitto wurde nicht nur zum Kommissar mit dem enorm wichtigen und finanzstarken Portfolio der Regionalentwicklung, sondern sogar zum Vizepräsidenten der Kommission ernannt. Die Europäische Volkspartei hat dabei eine extrem wichtige Rolle gespielt und ihre Unterstützung für andere Kandidat*innen in Verhandlungen offen von der erfolgreichen Wahl Fittos zum Kommissionsvize abhängig gemacht.

    Gefährliche Anbiederung mit historischem Vorbild

    Die Frage nach dem Warum lässt sich leicht beantworten: die Europäische Volkspartei fürchtet um Macht und Einfluss und sucht Verbündete, die zu ihrem Machterhalt beitragen können. Durch die Imitation rechter Polemik hofft man außerdem, am Wahlerfolg der antidemokratischen Parteien teilhaben zu können. Doch das ist ein Trugschluss. Der Blick in die Vergangenheit sollte auch eine Warnung sein. Der Aufstieg der Nationalsozialisten in Deutschland gelang, weil demokratisch orientierte, konservative Parteien versuchten, die NSDAP nachzuahmen und meinten, Hitler in Schach halten zu können, indem sie ihn zum Reichskanzler ernannten. Wie dieses Kalkül aufgegangen ist, nämlich in Krieg und Massenmorden, ist bekannt. In Belgien hingegen konnte das dunkle Kapitel der faschistischen Diktatur in den 1930ern verhindert werden, weil die konservative Partei sich von Rechtsextremen abwandte und verstand, dass es langfristig bei einer Zusammenarbeit mit Rechtsextremen nur Verlierer*innen gibt.

    Als demokratische und pro-europäischen Parteien müssen wir gerade jetzt unseren Grundsatz der Nichtzusammenarbeit mit rechtsextremen und -radikalen Fraktionen aufrechterhalten und gemeinsam eine Brandmauer bilden. Ich sage ganz klar: Nie wieder ist jetzt. Wer sich aus Machtkalkül mit anti-europäischen und anti-demokratischen Parteien bettet, wird bald in einem Europa ohne Demokratie und Grundrechte aufwachen.