Ein wichtiger Moment zu Beginn der neuen Legislaturperiode des Europäischen Parlaments ist die Anhörung der Kommissarsanwärter*innen. Nach der Wahl zum Europäischen Parlament hat jeder Mitgliedsstaat eine*n Kandidat*in für das Kabinett von Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen ernannt. Danach müssen alle Kommissarsanwärter*innen in einer Runde von Anhörungen den Mitgliedern des Europäischen Parlaments Rede und Antwort stehen. Die Mitglieder der zuständigen Ausschüsse entscheiden in der Folge über die Eignung der designierten Kommissar*innen.
In einem ersten Schritt haben die Kandidat*innen schriftliche Fragen beantwortet. Zwischen 4. und 12. November 2024 fanden dann die Anhörungen vor den verschiedenen Ausschüssen statt. Als Agrarsprecher der Grünen im Europäischen Parlament und Mitglied im Außenpolitischen Ausschuss habe ich die Anwärter*innen zu Themen wie nachhaltige Landwirtschaft, Tierschutz, Rechtsstaatlichkeit und EU-Erweiterungspolitik befragt. Das ist meine Bilanz:
Christophe Hansen: Agrarkommissar mit grünem Potenzial
Zusammen mit meinen Kolleg*innen der Grünen Fraktion im Europäischen Parlament kämpfe ich seit Jahren für den notwendigen Umbau der europäischen Landwirtschaft hin zu einer nachhaltigen, fairen solidarischen Landwirtschaft, in der die Bäuerliche Gemeinschaft, Tierwohl, der Erhalt unserer Umwelt und gesundes Essen für alle im Fokus stehen.
Die kommende Legislaturperiode, in der ich als Agrarsprecher für die Grüne Fraktion im Europäischen Parlament unsere grünen Werte in der Landwirtschaftspolitik verteidigen werde, wird entscheidend, da in ihr die Weichen für die gemeinsame Europäische Agrarpolitik ab 2027 gestellt werden. Dabei wird entschieden, ob ein Großteil der EU-Förderungen für die Landwirtschaft auch weiterhin in Industrialisierung und Massentierhaltung zur Billigproduktion für den globalen Weltmarkt fließen oder, ob wir die Wende hin zu kleinstrukturierter, lokaler und nachhaltiger Lebensmittelproduktion schaffen. Dementsprechend, waren auch unsere Fragen an Kommissarsanwärter Hansen auf den notwendigen Umbau der GAP und der europäischen Landwirtschaft im Allgemeinen ausgerichtet.
Herr Hansens hat dabei erklärt, kleineren Landwirten in der GAP Vorrang einzuräumen, und seine nachdrückliche Unterstützung für die Bio-Landwirtschaft ausgedrückt. Wichtig ist auch sein Fokus auf die Rechte der Landwirt*innen innerhalb der Wertschöpfungskette. Obwohl einige seiner Antworten konkreter hätten ausfallen können, waren meine Kolleg*innen und ich der Meinung, dass es in wichtigen Bereichen Raum für Fortschritte gibt. Darum haben wir dafür gestimmt, Christophe Hansen als Agrarkommissar zu bestätigen.
Marta Kos: Kommissarin für EU-Erweiterung mit Fokus auf Rechtsstaatlichkeit
Die Anhörung war gut vorbereitet, Marta Kos weiß, wovon sie spricht. Sie steht ein für einen wertebasierten Erweiterungsprozess auf der Grundlage von Rechtsstaatlichkeit. Jedes Land soll individuell für den eigenen Fortschritt beurteilt und andersrum für Rückschritte, insbesondere im Bereich von Rechtsstaatlichkeit und Demokratie, verantwortlich gemacht werden. Diese Konditionalität ist wichtig für einen glaubwürdigen Erweiterungsprozess, für den Marta Kos sich einsetzen möchte.
Noch dieses Mandat zielt sie darauf ab, dass ein bis zwei Länder der EU beitreten können. Darin unterstütze ich Marta Kos als Kommissarin für EU-Erweiterung. Sie setzt auf Medien- und individuelle Freiheiten und lehnt jede Rede von Landabtausch zwischen Ländern, eine brandgefährliche Idee, die aus autoritären Kreisen immer wieder in den Raum geworfen wird, ab. Besonders positiv finde ich, dass sie die Wichtigkeit der Zivilgesellschaft versteht und sich verpflichtet hat, ihr Sichtbarkeit und Gehör zu verschaffen statt “nur mit Politiker*innen auf Titelseiten abgebildet zu werden”
Olivér Várhelyi: Kommissar für Gesundheit und Tierschutz unter Einfluss von Orban und Agrarindustrie
Der ungarische Kommissionsanwärter Olivér Várhelyi soll für eine zweite Legislatur als Kommissar angelobt werden. Nach seiner zweifelhaften Bilanz als EU-Erweiterungskommissar im letzten Mandat, soll er nun die Ressorts Gesundheit und Tierschutz übernehmen obwohl er in beidem offensichtlich weder Kompetenz noch Ambition hat.
Die Grüne Fraktion im Europäischen Parlament kämpft seit vielen Jahren für eine bessere EU-weiter Tierschutzgesetzgebung. So wurde beispielsweise auf Initiative der Grünen in der vergangenen Legislaturperiode ein Untersuchungsausschuss zu Tiertransporten eingesetzt. Jetzt geht es aber darum, konkrete Verbesserungen auf den Weg zu bringen. Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen hat in der vergangenen Legislatur viele wichitge Intitiativen im Bereich Tierschutz angekündigt: das Ende der Käfighaltung, eine EU-weites Tierwohl-Kennzeichnung für Lebensmittel und die Überarbeitung der EU-Verordnungen zu Schlachtung und Tiertransporten. Lediglich die Überarbeitung der Tiertransport-Verordnung wurde auch vorgelegt – wird aber bisher von konservativer Seite im EU Parlament verhindert. Wir brauchen daher in der kommenden Legislaturperiode eine*n Tierschutz-Kommissar*in der*die diese Rolle ernst nimmt und die versprochenen und von Bürger*innen geforderten Verbesserungen durchsetzt.
Bei der Anhörung des Kandidaten Olivér Várhelyi wurde klar: er ist nicht diese Person. Trotz mehrmaliger Nachfrage wollte oder konnte er keine konkreten Ziele im Bereich Tierschutz für die kommenden 5 Jahre nennen und machte deutlich, dass seine Priorität die Wettbewerbsfähigkeit der Massentierhaltung ist. Er ging sogar so weit, vorzuschlagen, die EU-Tierschutzstandards an unsere Handelspartner*innen anzupassen, also de-facto zu senken.
In seiner Rolle als designierte Kommissar für Gesundheit erklärte Olivér Várhelyi außerdem, dass Abtreibung für ihn keine medizinische Frage ist und wollte sich trotz mehrmaliger Nachfrage nicht zum erschwerten Zugang zu medizinischer Versorgung für Mitglieder der LGBTIQ+ community in Teilen der EU – nicht zuletzt seinem eigenen Herkunftsland – äußern. Meine Kolleg*innen und ich haben Olivér Várhelyi daher die Zustimmung verweigert.
Wopke Hoekstra: Klimakommissar mit Erfahrung
Die Klimakrise ist da und wir müssen handeln. Einen Tag nach der Wahl von Donald Trump zum Präsidenten der Vereinigten Staaten von Amerika fand die Anhörung des designierten Umlwetkommissars Wopke Hoekstra statt. Im Lichte dieser besorgniserregenden Entwicklung muss die EU jetzt umso mehr für eine nachhaltige Zukunft kämpfen und die Führung in der grünen Wende einnehmen. Dem Umweltkommissar kommt dabei eine zentrale Rolle zu, vertritt er doch die EU in der anstehenden UN-Klimakonferenz COP29.
Wopke Hoekstra hatte die Rolle als Umweltkommissar schon in der letzten Legislaturperiode inne. Trotz berechtigter Kritik an teils zu zögerlicher Politik, haben meine Kolleg*innen und ich uns davor überzeugen können, dass Wopke Hoekstra die Rolle als Umweltkommissar ernst nimmt. In seiner Anhörung vor dem EU-Umweltausschuss machte er klare Zusagen zur Elektrifizierung von Unternehmensflotten bis 2030, was dem Klima und den Arbeitsplätzen zugutekommt. Außerdem sprach er sich klar für die Bekämpfung der Steuerhinterziehung und höhere Preise für Flugtickets nach dem Verursacherprinzip aus. Ein Hauptfokus seiner Arbeit in den kommenden Jahren muss es sein, einen ehrgeizigen Ausstieg aus der Verwendung von Geldern für fossile Brennstoffe in den Haushalten der EU und der Mitgliedstaaten voranzutreiben, wie es die internationalen Zusagen bis 2025 vorsehen. Wir unterstützen seine Nominierung und werden genau prüfen, ob den Worten Taten folgen.
Magnus Brunner: Kommissar für Migration ohne Achtung vor Menschenrechten
Der Österreichische Kommissarsanwärter Magnus Brunner von der ÖVP wurde als Kommissar für Migration vorgeschlagen. Magnus Brunner betont zwar mehrmals, dass Menschenrechte und Grundrechte nicht verhandelbar sind, widerspricht sich jedoch, indem er sich für schnellere Rückführungen sowie Rückführungshubs und intensivere Kooperation mit Drittstaaten ausspricht. Das bedeutet z.B. EU-Geld für Dienste autoritärer Regime, wie die libysche Küstenwache, die nachweislich systematisch Menschenrechte verletzen. Ein Lichtblick: Magnus Brunner hat erkannt, dass die ÖVP mit der Schengenblockade für Rumänien und Bulgarien am Holzweg ist. Die Grüne Fraktion hat Magnus Brunner nicht unterstützt.
Jessika Roswall: Kommissarin für Umwelt und Kreislaufwirtschaft mit Bekenntnis zum Green Deal
Die verheerenden Überschwemmungen und tödlichen Waldbrände der letzten Monate zeigen uns wieder einmal, wie wichtig der Erhalt unserer Umwelt in Europa und weltweit für die Klimaanpassung ist. Die Umsetzung des Gesetzes zu Wiederherstellung der Natur ist eines der wichtigsten Rahmenprojekte in diesem Bereich. Zusätzlich müssen wir schonender mit unseren Ressourcen umgehen. Verbrauch zu senken und Ressourcen wiederzuverwerten muss Priorität haben.
Jessika Roswall hat, in ihrer Anhörung als designierte Kommissarin für Umwelt und Kreislaufwirtschaft wichtige Zusagen gemacht: So soll es keinen Rollback beim Green Deal geben, eine klare Verpflichtung zur Umsetzung der Natur-Wiederherstellungs-Gesetzes und der Entwaldungsverordnung sowie weitere Schritte in Richtung Kreislaufwirtschaft. Frau Roswall hat Bereitschaft zur Entwicklung eines Governance-Rahmens zur Erreichung der Ressourcennutzungsziele und der Nullverschmutzung im Kontext der Kreislaufwirtschaft gezeigt. Deshalb habe ich die Bestätigung von Jessika Roswall: Kommissarin für Umwelt und Kreislaufwirtschaft befürwortet.