Neues Gentechnikgesetz Bringt Unsicherheit Für Konsument*innen Und Patente In Der Landwirtschaft - Thomas Waitz
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Neues Gentechnikgesetz bringt Unsicherheit für Konsument*innen und Patente in der Landwirtschaft

Die Kommission hat im Juli 2023 einen Vorschlag für eine neue Verordnung zu Methoden der Neuen Gentechnik (NGT) präsentiert, der eine fast komplette Deregulierung Neuer Gentechnik Produkte vorsieht. Nach einem Eilverfahren hat das Europäische Parlament im Februar 2024 den Vorschlag der Kommission zum größten Teil abgenickt. Die Grünen konnten aber eine verpflichtende Kennzeichnung für Konsument*innen im Supermarkt, ein mögliches opt-out für Mitgliedsstaaten und den Entzug der Zulassung beim Auftreten von Problemen erkämpfen. Diese Positionen liegen nun also zumindest am Verhandlungstisch im Trilog und den Verhandlungen mit den Mitgliedsstaaten.

Hintergrund des Vorschlags

Die größten Hersteller von Neuer Gentechnik (NGT) sind die Agrarchemieriesen Bayer/Monsanto und Corteva. Sie lobbyieren seit Jahren für eine Ausnahme der Neuen Gentechnik-Methoden aus dem EU-Gentechnikgesetz und damit gegen die strengen Sicherheits- und Verbraucher*innenschutzauflagen im Sinne des Vorsorgeprinzips. Die Kommission hat nun dem Lobbying nachgegeben und im Juli 2023 einen neuen Vorschlag für ein EU-Gentechnikrecht veröffentlicht: Im Gegensatz zur momentan gültigen Gesetzeslage möchte die Kommission in Zukunft für 94% aller Saatgutsorten, die mit Neuer Gentechnik hergestellt wurden, keine Zulassungsverfahren mehr durchführen. Konkret betrifft das all jene gentechnisch veränderten Pflanzen, die nach Definition der EU-Kommission mit solchen aus natürlicher Züchtung „vergleichbar“1 sind (auch NGT1-Pflanzen genannt). Damit würden alle bisher durchgeführten Verfahren zur Risikoanalysen und Untersuchung zu Umweltauswirkungen wegfallen. Die Produzent*innen müssten auch nicht mehr darlegen, was verändert wurde, wodurch Rückverfolgung nicht mehr möglich wäre. Auch die Kennzeichnungspflicht soll entfallen – ein Einschnitt in die Transparenz und Wahlfreiheit der Konsument*innen, die in Zukunft gentechnisch veränderte Produkte im Supermarktregal nicht mehr erkennen können. Das bedeutet auch, dass künftig genetisch veränderte Organismen in die Natur ausgebracht werden könnten, ohne, dass es eine wissenschaftliche Beurteilung über mögliche Risiken, wie Allergien oder Negativeinflüsse auf die Biodiversität, gibt. Aber damit noch nicht genug: laut Kommissionsvorschlag soll es für viele NGT-Produkte nicht einmal möglich sein, eine Zulassung rückwirkend aufzuheben, wenn Probleme auftreten.

Nur in der Bio-Landwirtschaft soll Gentechnik weiterhin verboten bleiben. Um das durchsetzen zu können, soll das Saatgut dieser Pflanzen etikettiert werden. Unklar ist allerdings, wie diejenigen, die ohne NGT produzieren wollen, eine Kontamination entlang der Produktionskette vermeiden sollen. Für alle NGT-Pflanzen soll eine einmal erteilte Zulassung oder Eintragung jedenfalls EU-weit gelten. Die EU-Mitgliedstaaten können den Anbau dieser NGT-Pflanzen dann nicht mehr verbieten. Besonders für Österreich, dessen gentechnikfreie Bio- und konventionelle Landwirtschaft ein internationaler Exportschlager ist, ist das ein herber Schlag. Die Europäische Volkspartei möchte sogar noch über den Kommissionsentwurf hinaus gehen und Gentechnik selbst im Bio-Bereich zulassen. Demnach soll nicht einmal das Saatgut von gentechnisch veränderten Pflanzen etikettiert werden, was eine gentechnikfreie Produktion quasi verunmöglichen würde. 

Eilverfahren im Parlament

Nach Beginn der Verhandlungen in den Ausschüssen zu Landwirtschaft und Umwelt im europäischen Parlament im Dezember 2023 wurde der Text regelrecht durch die verschiedenen Instanzen gejagt, sodass bereits Anfang Februar 2024 die Abstimmung im Plenum stattfinden konnte. Während der nur wenige Wochen andauernden Verhandlungen in den Ausschüssen konnten sich die Grünen Verhandler*innen nur in wenigen Punkten durchsetzen. Zumeist wurde einfach der Kommissionsvorschlag unterstützt und teilweise sogar noch verschlimmert. In den Verhandlungen wurden extrem wichtige Punkte entweder nicht ausreichend beantwortet oder gar zur Seite gewischt:

Ungeklärte Fragen

Patente: NGTs sind patentierbar und eine freie Zulassung würde Patente auf Pflanzen in der EU bedeuten. Patente sind aber keine EU Kompetenz sondern werden vom Europäischen Patentamt vergeben. Um NGTs aus der Patentierbarkeit auszunehmen, müssten alle 38 Unterzeichnerstaaten des europäischen Patentübereinkommens zustimmen. Ein kürzlich veröffentlichter Bericht europäischer Umweltorganisationen zeigt, dass eine Suche nach dem Begriff „CRISPR-Cas-Pflanze“ in internationalen Datenbanken für Patentanmeldungen nicht weniger als 20.000 Ergebnisse lieferte. Dabei handelt es sich oft um breit angelegte Patentanmeldungen, die alle Pflanzen mit einer bestimmten Eigenschaft abdecken, unabhängig davon, wie diese Eigenschaft tatsächlich zustande kam. Für Europäische Züchter*innen könnte das große rechtliche Schwierigkeiten bedeuten und große Teile unserer Lebensmittelproduktion können so in die Abhängigkeit einiger weniger Konzerne geraten. Weder die Kommission noch die EVP sind hier zu Verhandlungen bereit. Eine einfache Definition von NGT-Pflanzen als „nicht patentierbar“ist jedenfalls rechtlich nicht stichhaltig.

Gentechnik im Bio-Landbau: Der Kommissionsvorschlag sieht vor, dass die Bio-Landwirtschaft als einziger Sektor gentechnikfrei bliebt. Dafür soll GVO-Saatgut gekennzeichnet werden. Die zentrale Frage, wie eine Kontamination entlang der Produktionskette vermieden werden und Bio-Landwirt*innen unter diesen Bedingungen eine gentechnikfreie Produktion sicherstellen sollen, lässt sie dabei unbeantwortet. Der Europäische Parlament hat sich gegen verpflichtende Koexistenzmaßnahmen wie Anbauabstände, verpflichtende Registrierung etc. ausgesprochen.

Ergebnis der Plenarabstimmung

Der Bericht wurde mit 307/263/41 Stimmen angenommen. Das Europäische Parlament hat dabei zum größten Teil den Kommissionsvorschlag genehmigt. Viele Verbesserungsvorschläge von Grüner Seite wurden von der Europäischen Volkspartei, den liberalen und den rechten Parteien abgelehnt. Auch Abgeordnete der ÖVP, FPÖ und NEOS haben bei der Abstimmung im Februar gegen eine Umweltverträglichkeitsprüfung, eine Überwachung von Umwelteffekten und eine  Kennzeichnung für Konsument*innen gestimmt. Bei vielen Abstimmungen haben einzelne ÖVP Europaabgeordneten einfach nicht abgestimmt. Trotzdem konnten die Grünen auch einige wichtige Erfolge erringen. Dank Grüner Anträge ist es gelungen, die verpflichtende Kennzeichnung von NGT-Produkten als „Neue Gentechnik“ auch im Supermarkt zu verankern und eine Möglichkeit für die Behörden zu schaffen, die Zulassung zu entziehen, wenn Probleme auftreten. Außerdem soll es eine drop-out Option für Mitgliedsstaaten geben. Das würde bedeuten, dass Österreich Gentechnikfrei bleiben könnte. Auch hier haben einzelne ÖVP Abgeordnete, darunter Alexander Bernhuber, nicht mitgestimmt während die NEOS gegen ein opt-out gestimmt haben.

Wie geht es jetzt weiter?

Nach der Abstimmung im Plenum geht es weiter in die Trilogverhandlungen zwischen Kommission, Europäischem Parlament und den Mitgliedsstaaten. Letztere konnten sich bisher noch nicht auf eine Position einigen, was einen Abschluss der Verhandlungen noch in dieser Legislatur – das erklärte Ziel der EU-Kommission – eher unwahrscheinlich wirken lässt. Für einen Abschluss vor der EP-Wahl im Juni müssten die Trilogverhandlungen rechtzeitig zur letzten Plenarwoche Ende April 2024 abgeschlossen sein.

Mythen zu Neuer Gentechnik

Mythos: Die neue Gentechnik kann im Kampf gegen den Klimawandel und Hunger helfen, indem Sorten
resistenter werden gegen Hitze oder Trockenheit. Fakt: Befürworterinnen und Produzentinnen der
Neuen Gentechnik preisen diese gerne als Rettung in Zeiten des Klimawandels an. Sieht man sich
allerdings die Fakten an, wird aber klar, dass diese Versprechen nur Augenwischerei sind. Von allen GVOs, die derzeit konventionell genutzt werden und auf dem Markt sind, beschränken sich 99% auf Soja, Mais, Baumwolle und Raps und bewirken beinahe ausschließlich eine höhere Herbizidtoleranz. Für die Hersteller bedeutet das einen Marktvorteil, weil Bäuerinnen so sowohl die patentierten Pflanzen als
auch die passenden Herbizide von ihnen kaufen müssen und unsere Lebensmittelproduktion so von
einigen wenigen Mega-Konzernen abhängig wird. Wissenschafter*innen kritisieren auch in einem offenen Brief, dass es naiv sei zu glauben, die Krise eines komplexen Ökosystems mit der Genmanipulation einiger weniger Nutzpflanzen lösen zu können. Nur eine Agrarwende hin zu klima- und
biodiversitätsfreundlichen und agrarökologischen Methoden, mit einem Fokus auf regionale Kreisläufe
und die kleinstrukturierte Landwirtschaft können die Folgen der Klimakatastrophe eindämmen.

Mythos: Widerstand gegen die neue Gentechnik ist Wissenschaftsfeindlich. Fakt: Die neue Gentechnik
birgt enormes Potential, beispielsweise in der medizinischen Anwendung oder Herstellung bestimmter
Rohstoffe in geschlossenen Systemen. Mit Gen-Sequenzierung kann herkömmliche Züchtung massiv
beschleunigt werden, so können risikofrei vergleichbare Züchtungsergebnisse erzielt werden. Die
Industrie hat an einer Entwicklung solcher Verfahren aber wenig Interesse, weil die daraus resultierenden
Produkte nicht patentiert werden können.

  1. Die Kriterien dieser Einstufung, beispielsweise die Anzahl der veränderten Nukleotide, sind dabei sehr vereinfachend und lassen wichtige wissenschaftliche Erkenntnisse außer Acht. Anstatt nur die Anzahl wäre es beispielsweise auch wichtig, den Ort der Veränderungen und ihre biologischen Auswirkungen zu berücksichtigen. ↩︎